Die Neue Zürcher Zeitung schreibt:

Aus Weiss mach Schwarz

An den Münchner Kammerspielen wird Bierchbichlers Anti-Heimatroman mit einem schwarzen Ensemble gespielt. Wird der kulturpolitische Anspruch eingelöst?

Dass es im deutschsprachigen Theater mehr weisse als schwarze Schauspieler gibt, ist ja zunächst einmal keine Folge von Rassismus. In unseren Breitengraden werden naturgemäss mehr hell- als dunkelhäutige Menschen geboren, und wenn das Theater ein Spiegel der Gesellschaft ist, dann zeigt sich dieses «Ungleichgewicht» eben auch dort.

Aber sicherlich fehlt es in vielen Intendanz-Etagen noch immer an Sensibilität in dieser Frage, und diskriminierend ist es, wenn ein diverses Ensemble nur deswegen aufgebaut wird, damit man etwa bei der Behandlung der Flüchtlingsproblematik auf der Bühne ja nichts falsch macht. Andererseits wird sich die Situation (ein Blick in die Schauspielschulen bestätigt es) aufgrund der Einwanderungen auch aus afrikanischen Ländern ohnehin langsam und ganz automatisch ändern, die Diversität der Gesellschaft wird auch im Theater Normalität werden.

So lange wollen die Münchner Kammerspiele nicht warten und wagen ein Experiment: Sie nehmen eine ihrer (Erfolgs-)Inszenierungen und lassen sie exakt bis ins letzte Detail noch einmal nachspielen – nur diesmal eben mit einem komplett schwarzen Ensemble.

Muss auch ein «Flüchtling» ein Flüchtling sein?

... Getroffen hat es die Arbeit von Anna Sophie Mahler, die mit ihrer artifiziellen, höchst musikalischen Adaption von Josef Bierbichlers Anti-Heimatroman «Mittelreich» ein sehr hermetisches Sprach- und Klang-Kunstwerk abgeliefert hatte ...

Mehr als Spielerei?

... Regisseurin Anta Helena Recke kann kaum vermitteln, was diese Irritation eigentlich soll. Provokation? Im Publikum sitzt niemand, den die «farblich» augenfällige Umbesetzung auch nur im geringsten stören, gar empören würde ...

... Das zweite «Mittelreich» bleibt eine gedanklich überanstrengte Spielerei mit nicht einleuchtendem Rollentausch ...

... Wäre da nicht dieses Ensemble, das völlig abgesehen von der Hautfarbe ein hervorragendes ist ...

Neue Zürcher Zeitung vom 14.10.2017

geschrieben von Bernd Noack